10. Juni 2020

Die Sache mit dem Vertrauen

Warum es sich lohnt, in das Thema tiefer einzutauchen

Das Thema Vertrauen ist in vieler Munde. Doch was macht es für die Arbeitswelt so besonders und wertvoll? Warum lässt sich beim Vertrauen von einer psychologischen Superkraft sprechen? Und wie kann sich Vertrauen entwickeln?

Text & Bild | Nadi­ne Tho­mas, Fran­zis­ka Nau­mann

 

Ver­mut­lich haben Sie es schon oft selbst erfah­ren: für gute Team­ar­beit ist Ver­trau­en nicht alles, aber alles ist nichts ohne das Ver­trau­en ins Team!

Doch was genau ist eigentlich dieses „Vertrauen“?

Wenn Psy­cho­lo­gin­nen und Sozio­lo­gen von Ver­trau­en spre­chen, steckt da die­ses wohl­tu­en­de Bauch­ge­fühl von Sicher­heit, inne­rer Ruhe und Zuver­sicht hin­ter. Das schö­ne Gefühl, das auf­kommt, wenn man das sub­jek­ti­ve Emp­fin­den hat, ver­trau­en zu kön­nen.

Wäh­rend es sich beim Selbst­ver­trau­en, um das Ver­trau­en in die eige­ne Per­son dreht, wird die­ses vom inter­per­so­na­len Ver­trau­en unter­schie­den. Letz­te­res beschreibt das wahr­ge­nom­me­ne Aus­maß, in dem sich eine Per­son auf eine ande­re ver­las­sen kann, bei­spiels­wei­se auf ihre Kom­pe­tenz oder Inte­gri­tät.

Ver­trau­en tritt in unsi­che­ren Situa­tio­nen auf. In Situa­tio­nen, deren Aus­gang sich nicht vor­weg­neh­men lässt und ein gewis­ses Risi­ko beinhal­tet. Wenn für das Ergeb­nis der Situa­ti­on kei­ne Gewiss­heit besteht und wir Tei­le der Ver­ant­wor­tung für das Ergeb­nis an ande­re Per­so­nen abge­ben. Dabei gilt: Je grö­ßer der unsicht­ba­re Teil des Ergeb­nis­ses, umso mehr Ver­trau­en ist nötig.

Zugleich ist Ver­trau­en ein zer­brech­li­ches Gut. Über einen lan­gen Zeit­raum hin­weg auf­ge­baut, kann es inner­halb eines Moments zer­stört wer­den.

 

Welche wichtige Funktion hat Vertrauen und was ist seine Wirkung?

Ver­trau­en macht uns das Leben ein­fa­cher! Es ist näm­lich eine wirk­sa­me Form der Reduk­ti­on sozia­ler Kom­ple­xi­tät (Luh­mann, 1989). Es hat die wich­ti­ge Funk­ti­on der Ent­las­tung unse­rer Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung und unse­rer men­ta­ler Kapa­zi­tät (Rot­ter, 1954). Bleibt Ver­trau­en aus, inves­tie­ren wir Gedan­ken, Auf­merk­sam­keit und Ener­gie in die Kon­trol­le und Prü­fung der Aus­sa­gen ande­rer. Dann müs­sen wir ordent­li­che Anstren­gun­gen unter­neh­men, um ein gutes Gefühl zu erhal­ten.

Ver­trau­en ermög­licht damit auch, dass der ein­zel­ne Mensch in sei­ner Umwelt hand­lungs­fä­hig bleibt, denn: „Wo es Ver­trau­en gibt, gibt es mehr Mög­lich­kei­ten des Erle­bens und Han­delns“ (Luh­mann, 1989). Des­halb ist Ver­trau­en nicht nur eine wich­ti­ge Grö­ße für die men­ta­le Kapa­zi­tät – son­dern auch eine rele­van­te Res­sour­ce fürs Krea­ti­ve. Nach der Invest­ment­theo­rie der Krea­ti­vi­tät (Stern­berg & Lub­art, 1991) ist Ver­trau­en die Eigen­schaft eines sozia­len Umfelds, in dem Krea­ti­vi­tät ent­ste­hen kann.

Kurz­um: Ver­trau­en ist ein wich­ti­ges sozia­les Gut! Ein Team, das ein­an­der ver­traut, kann sich auf die eigent­li­chen Arbeits­the­men fokus­sie­ren. Und nur, wenn das Prin­zip der psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit zu sei­ner DNA gehört, kann es erfolg­reich, mutig und inno­va­tiv wer­den.

 

Was aber passiert, wenn Vertrauen fehlt?

Fehlt mir Ver­trau­en, muss ich von einer prin­zi­pi­el­len Unbe­re­chen­bar­keit der Ande­ren aus­ge­hen. Dabei kann sich mein feh­len­der Ver­trau­ens­vor­schuss auf unter­schied­li­che Ebe­nen (May­er et al., 1995) bezie­hen:

  • Bei feh­len­der Kom­pe­tenz­er­war­tung, bin ich mir unsi­cher, ob die ande­ren Team­mit­glie­der die not­wen­di­gen Fähig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten besit­zen, ihre Auf­ga­ben kom­pe­tent zu meis­tern.
  • Bei einer nied­ri­gen Inte­gri­täts­er­war­tung, zweif­le ich an der Glaub­wür­dig­keit, also dar­an, dass sich das ande­re Team­mit­glied nach sei­nen pos­tu­lier­ten Idea­len und Wer­ten ver­hält.
  • Und bei feh­len­der Erwar­tung des Wohl­wol­lens, bin ich unsi­cher, ob mir mein Gegen­über wohl­ge­son­nen und posi­tiv zuge­wandt ist und nicht nur sein Eigen­in­ter­es­se im Blick hat.

Fehlt mir die Erwar­tung, dass mein Gegen­über kom­pe­tent, inte­ger und wohl­wol­lend ist, befin­de ich mich in einer „chao­ti­schen, nicht vor­her­sag­ba­ren Umwelt“. Und solch eine Umwelt pro­du­ziert Angst, da sich in Cha­os nicht ver­trau­en lässt (Luh­mann, 1989).

Vie­le Men­schen reagie­ren auf Angst auto­ma­tisch mit Kon­trol­le. Es ist die pro­mi­nen­tes­te Stra­te­gie, Sicher­heit zurück zu gewin­nen. Erscheint uns der Kol­le­ge also nicht ver­trau­ens­wür­dig, inves­tie­ren wir in hohem Maße in die Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung und Absi­che­rung (Arbeits- und Ergeb­nis­kon­trol­le).

Jedoch zah­len wir mit die­sem Ver­hal­ten einen ordent­li­chen Preis. Denn in der Fol­ge heißt das: Wenn wir per­ma­nent mit der Reduk­ti­on der Unsi­cher­heit beschäf­tigt sind, wird sich wenig Ener­gie frei­set­zen las­sen, um in einen krea­ti­ven und pro­duk­ti­ven Arbeits­mo­dus zu kom­men. Wir wer­den als Team  weit unter unse­ren Mög­lich­kei­ten blei­ben.

 

Woran lässt sich Vertrauen erkennen?

Ver­trau­en ist immer in die Zukunft gerich­tet (Luh­mann, 1989). Und damit ergibt es sich aus der Erfah­rung, dem per­sön­li­chen Umgang. Das wie­der­um bedeu­tet: die soge­nann­te „Ver­trau­ens­bil­dung“ bedarf Zeit.

„Schon bei ober­fläch­li­chem Hin­blick ist am The­ma Ver­trau­en ein pro­ble­ma­ti­sches Ver­hält­nis zur Zeit erkenn­bar. Wer Ver­trau­en erweist, nimmt Zukunft vor­weg. Er han­delt so, als ob er der Zukunft sicher wäre.“ (Luh­mann, 1989)

Wir brau­chen also Ver­hal­tens­aus­schnit­te und Beob­ach­tungs­mög­lich­kei­ten, die uns ver­si­chern, dass sich die ein­zel­nen Team­mit­glie­der in „kri­ti­schen Situa­tio­nen“ kom­pe­tent, inte­ger und uns gegen­über wohl­wol­lend ver­hal­ten.

In Bezug auf die Kom­pe­tenz­er­war­tung, bei­spiels­wei­se, bedeu­tet das: Wenn mich mein Team als kom­pe­tent ein­schätzt, wer­den mei­ne Ent­schei­dun­gen und wird mei­ne Arbeit nicht kon­trol­liert, son­dern wert­ge­schätzt. Selbst dann, wenn ich mit aus­ge­fal­le­nen, krea­ti­ven und neu­en Ideen um die Ecke kom­me. Wenn ich quer­den­ke und im Pro­zess quer­schie­ße. (Ambi­gui­täts­to­le­ranz)

Zen­tral dabei ist auch, wie mit mei­nem Schei­tern umge­gan­gen wird. Was pas­siert, wenn ich eine fal­sche Ent­schei­dung getrof­fen habe, wenn etwas schief­ge­gan­gen ist oder der Erfolg ein­mal aus­bleibt? Wer­de ich dann an den Pran­ger gestellt? Oder steht das Team auch bei einem Miss­erfolg hin­ter mir, zeigt es mir, dass es an mei­ne Kom­pe­tenz glaubt und dar­an, dass ich in der Situa­ti­on für die bes­te Lösung alles gege­ben habe? (Feh­ler­to­le­ranz)

Wenn ich psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ver­spü­re, füh­le ich mich von den ande­ren Team­mit­glie­dern ver­stan­den und akzep­tiert. Dann reden wir offen mit­ein­an­der und ich erhal­te das Zutrau­en, Risi­ken ein­ge­hen zu kön­nen. Zudem nimmt es mir das Team nicht übel­, wenn ich einen Feh­ler ein­ge­ste­he. (Risi­ko­kom­pe­tenz)

 

Was kann ich tun, um Vertrauen zu schaffen?

Ver­trau­en lässt sich nicht ohne jeden Anhalts­punkt und ohne gemein­sa­me Vor­er­fah­run­gen schen­ken (Luh­mann, 1989). Viel­mehr bedarf es der gemein­sa­men „Geschich­te“ als Hin­ter­grund­si­che­rung! Habe ich solch eine Geschich­te (noch) nicht, dann muss ich sie schaf­fen. Dann gilt es das Ver­trau­en durch unter­schied­li­che Situa­tio­nen gemein­sam mit dem Gegen­über auf­zu­bau­en.

Das heißt: Ver­trau­en kann man nicht ein­for­dern. Ver­trau­ens­bil­dung ist ein län­ge­rer, anhal­ten­der, dau­er­haf­ter Pro­zess. Denn das Ver­trau­en ent­steht erst in einem Inter­ak­ti­ons­feld. Und damit braucht es Zeit und Raum.

Um ver­trau­en zu kön­nen, muss es mir wie­der­holt gelin­gen, die „Zukunft vor­her­zu­sa­gen“. Dann muss ich mein „rela­tiv siche­res Erwar­ten“ immer und immer wie­der vom Gegen­über bestä­tigt bekom­men. Dabei spielt die Sicht­bar­keit des Ergeb­nis­ses der jewei­li­gen „kri­ti­schen Situa­ti­on“ eine ent­schei­den­de Rol­le.

Mit Blick auf die Inte­gri­tät, bei­spiels­wei­se, muss mir das Gegen­über wie­der­holt authen­tisch erschei­nen. Dafür müs­sen Ver­hal­ten und Wor­te von mir als stim­mig emp­fun­den wer­den. Bereits mini­ma­le Abwei­chun­gen kön­nen irri­tie­ren und dau­er­haft erlebt zu Miss­trau­en füh­ren, wel­ches nicht ein­mal klar in Wor­te zu fas­sen oder begründ­bar sein muss.

Kurz­um: Wenn mir ver­traut wer­den soll, muss es mir gelin­gen für mein Gegen­über vie­le, vie­le ver­trau­ens­vol­le Momen­te zu schaf­fen. Dann gilt es durch mein Ver­hal­ten aktiv Unsi­cher­hei­ten und einer Kul­tur der Angst ent­ge­gen zu wir­ken und gemein­sam eine ver­läss­li­che Geschich­te als „Hin­ter­grund­si­che­rung“ zu schrei­ben. Ver­trau­en ler­nen wir nur durch die posi­ti­ve Erfah­rung und das per­sön­li­che Erle­ben mit dem betref­fen­den Gegen­über – und das gilt auch in der Arbeits­welt.

 

Lite­ra­tur­ver­weis:

Luh­mann, N. (1989). Ver­trau­en. Ein Mecha­nis­mus der Reduk­ti­on sozia­ler Kom­ple­xi­tät. Stutt­gart: Luci­us & Luci­us.

May­er, R. C., Davis, J. H. & Schoor­man, F. D. (1995). An inte­gra­ti­ve model of orga­niza­tio­nal trust. The Aca­de­my of Manage­ment Review, 20, 709–734.

Rot­ter, J. B. (1954). Social lear­ning and cli­ni­cal psy­cho­lo­gy. New York: Pren­ti­ce-Hall.

Stern­berg, R. & Lub­art, T. (1991). An invest­ment theo­ry of crea­ti­vi­ty and its deve­lo­p­ment. Human Deve­lo­p­ment, 34, 1–31.