17. Feburar 2020
Der wichtige Unterschied zwischen Können und Wollen
Und warum Experimentieren dem Arbeitsleben guttun kann
Für den Arbeitsphilosophen Frithjof Bergmann ist der zentrale Schlüssel einer erfüllten Arbeit, herauszufinden, was wir „wirklich, wirklich tun wollen“. Doch die wenigsten Menschen können sagen, was das ist.
Den Ansatz des Philosophen Frithjof Bergmann (2017) über Arbeit nachzudenken, finde ich großartig:
„Nicht wir sollen der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.“
Bergmann ist Begründer der „New Work“-Bewegung und befasst sich seit Jahrzehnten mit der Frage der Zukunft der Arbeit. Für ihn ist der zentrale Schlüssel einer erfüllten Arbeit, herauszufinden, was wir
„wirklich, wirklich tun wollen“.
Das hört sich gut an. Aber herauszufinden, was wir wirklich wollen, ist verdammt schwer. Die wenigsten Menschen können spontan sagen, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Unterhält man sich mit ihnen über ihre Arbeit, haben viele dieses „etwas“ selbst im hohen Arbeitsalter noch nicht gefunden. Und auch Studien belegen, dass es einen beachtlichen Teil an Menschen gibt, die einer Arbeit nachgehen, zur der sie emotional keinen Bezug haben: „Fünf Millionen Deutsche haben innerlich gekündigt“ titelt Anja Engelke (2018) in der FAZ das Ergebnis einer Untersuchung zur Motivation am Arbeitsplatz.
Unterschiedliche Wünsche
Natürlich gibt es in der Arbeitswelt auch Menschen, die das Leben und die Arbeit bewusst trennen, deren Leben ausschließlich nach Feierabend stattfindet (vermutlich erklärt sich so der Begriff „Work-Life-Balance“). Menschen, die sich mit ihrer Arbeit arrangieren und Leidenschaft, Interesse und Hingabe außerhalb der Arbeit suchen. Und die kein Bedürfnis verspüren, daran etwas zu ändern.
Aber es gibt eben auch diejenigen, für die Arbeitszeit kostbare Lebenszeit ist – Zeit, die sie sinnstiftend füllen möchten. Menschen, die sich in und durch die Arbeit als lebendig verspüren möchten. Die eine Arbeit tun möchten, die ihnen nicht nur Geld abwirft, sondern ihnen persönlich etwas zurückgibt.
Der wichtige Unterschied
Als Coach fällt mir bei der Suche nach dem „Wollen“ mit meinen Klient*innen immer wieder auf, dass es dabei einen wesentlichen Punkt zu beachten gilt: Nämlich den Unterschied zwischen „Können“ – und „Wollen“.
Während das Können unsere individuellen Fähigkeiten, Erfahrungen und Fachkenntnisse ausmacht, zielt das Wollen auf unsere persönlichen Motive, Bedürfnisse und Ziele ab.
Ungemütlich wird es, wenn beides nicht zusammenpasst, wenn wir „können“ – aber nicht „wollen“. Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn vor allem „das Können“ kann uns verführt, auf der Suche nach dem Wirklich-Wollen, zu früh abzubiegen. Es kann dazu verführen, dass wir in einer Sackgasse landen und an unserem eigentlich „Bestimmungsort“ gar nicht ankommen.
Was Noten, Bewertungen und soziale Anerkennung damit zu tun haben, möchte ich an drei Beispielen meiner eignen beruflichen Laufbahn verdeutlichen:
Exkurs Neurowissenschaften
Meine Fähigkeiten komplexe Prozesse und Strukturen zu durchdringen und den Dingen ordentlich auf den Grund zu gehen, führte im Psychologiestudium dazu, dass ich in den schwersten Fächern (Biopsychologie, kognitive Neurowissenschaften und Statistik) herausragende Leistungen erbrachte. Dort, wo vergleichsweise viele meiner Kommiliton*innen strauchelten, gelang mir ein tiefes Verständnis der Materie. Das sorgte in der hochleistungsgetriebenen Universitätswelt für unterschiedlichste Formen der Anerkennung. Und natürlich „zogen“ und „zerrten“ diese Top-Noten, exzellenten Gutachten und Angbote in der Folge innerlich an mir. Waren das die wichtigen Zeichen? Sollte ich ihnen nachgehen? Hatte ich meine Arbeitswelt gefunden? Heute würde ich mit Zahlen hantieren und im Versuchslabor Hirnströme erfassen, hätte ich nicht schon während der Schulzeit gelernt, mein Glück frei von äußeren Anreizen zu erbauen.
Hochschullehre bis zur Rente?
Wenig später bot meine Laufbahn eine nächste Entfaltungsmöglichkeit, nämlich die meiner didaktischen Fähigkeiten. Wissen verständlich und lebendig vermitteln und Menschen für Inhalte begeistern, das liegt mir. Und als ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin meine Lehrveranstaltungen regelmäßig evaluieren lies, folgte eine positive Rückmeldung auf die andere. Die herausragenden Evaluationen führten sogar dazu, dass ich jedes Semester in Folge mit dem Preis für hervorragende Lehre meines Fachbereichs ausgezeichnet wurde (siebenmal) und diese Phase in einem Landeslehrpreis endete (dotiert mit 10.000 Euro). Die Preise waren eine große Anerkennung für meine Arbeit. Doch waren sie nun der wichtige Hinweis, dass ich endlich mein Wirklich-Wollen gefunden hatte? Nein, denn mich füllte die Arbeit als Dozentin nicht aus. Von außen irre schade. Ja, ich hätte „gekonnt“. Aber ich schlug die unbefristete Stelle aus.
Wissenschaftsmanagement? – Nein!
Mein letzter Posten an der Universität war die Geschäftsführung. Für die Stelle relevant zeichnete sich mein Organisationstalent. Verantwortung übernehmen, Chaos beseitigen, schnelle Lösungen suchen, Plänchen machen und den Überblick behalten – ja, das kann ich. Als Älteste von vier Geschwistern habe ich diese Kompetenz vermutlich schon in der Kindheit regelmäßig trainiert – sie ist praktisch, ja, gehört jedoch definitiv nicht zu meinen Leidenschaften. Und somit habe ich auch hier auf mich, meine Bedürfnisse und mein Wohlbefinden aufgepasst – und gekündigt.
Nicht alles, in dem wir gut sind und was wir können, müssen wir unserem Arbeitsleben zueigen machen wollen!
Glücklicherweise war bereits meine heutige Arbeit gefunden. Auf der Basis meiner unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen war die Vision meiner eigenen Unternehmung entstanden, die Vision davon, was ich beruflich wirklich machen will. Der Arbeitsplatz, auf dem sich meine unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse auf wunderbare Weise vereinen lassen, ich mit Leidenschaft dabei bin und so viel mehr dabei raus und für mich „herumkommt“.
Experimentieren und reflektieren hilft
Jeder Mensch hat seine individuellen Fähigkeiten, persönlichen Bedürfnisse und erschafft sich andere Chancen. Der wichtigste Schritt bei der Suche nach dem Wirklich-Wollen ist jedoch für alle gleich: Es geht darum, offen zu bleiben, sich auszuprobieren, zu experimentieren und sich in unterschiedlichen Rollen und Kontexten erleb- und wahrnehmbar zu machen. Es geht darum, unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln.
Und wenn man unglücklich feststeckt, gilt es zu springen! Je nachdem, wie es die Situation hergibt: Mit dem einen, dem anderen, oder mit beiden Beinen. Wie sonst lässt sich der Ort finden, der einem gefällt, wenn man auf der Stelle tritt? Dieser Ort fällt nicht vom Himmel.
Die Rückmeldung aus der Arbeitswelt kann bei Ihrer Suche ein wichtiger Begleiter sein – muss es aber nicht! Sie ist mit Vorsicht zu genießen. Denn sie kann dazu verleiten, dass Sie Ihren eigenen Stimmen zu wenig Beachtung schenken. Dass Sie nach innen taub und blind werden.
Hilfreicher beim Experimentieren ist daher Zeit zum Innehalten, zur Selbstreflexion einzuplanen, um einen guten Kontakt zu den inneren Stimmen herstellen. Dabei können Gespräche mit dem Coach, der Familie und dem Freundeskreis helfen. Sie können Ihnen helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Helfen, herauszufinden, was Sie wirklich, wirklich tun wollen.
Literaturverweis:
Bergmann, F. (2017). Neue Arbeit, Neue Kultur. Freiburg: Arbor.
Engelke, A. (2018). Fünf Millionen Deutsche haben innerlich gekündigt. FAZ.NET, 29. Aug. 2018